Th. Henzler: Geschichte des Bewusstseins und der Kultur

Fotocredit: Th. Henzler
Fotocredit: Th. Henzler

Herr Henzler, Sie haben 2017 ein Buch veröffentlicht mit dem Titel: "Geschichte des Bewusstseins und der Kultur: Basis einer neuen Gesellschaft“. Im DRI erschien 2021 Ihr zusammenfassender Artikel "Geschichte des Bewusstseins und der Kultur“. Worum geht es in dem Buch?

 

Bei dem Buch geht es um die Wirkung des Unterbewussten in unserem Leben. Sowohl beim einzelnen Menschen als auch in der Gesellschaft werden vermutlich 90% der Entscheidungen aus dem Unterbewussten getroffen oder beeinflusst. Da sich Substanzen unseres Unterbewussten aus der Geschichte gespeichert haben, können wir etwas in unser Bewusstsein heraufholen, wenn wir in die Geschichte blicken. Und zwar in die Geschichte des Unbewussten. Der Blick dahinein ist möglich über einen systemwissenschaftlichen Weg. Durch einen breiten interdisziplinären Ansatz unter besonderer Berücksichtigung der künstlerisch kulturellen Dokumente, wird unbewusste Substanz, die eingespeichert ist, sichtbar.

 

Das passt sehr gut zum Thema der Bewusstseinsevolution, die vor allem auf die Arbeit von Willy Obrist zurückgeht. Neu scheint die Einbeziehung der Architektur zu sein. Welche Rolle spielt sie in ihrer Arbeit zur Geschichte des Bewusstseins?

 

Das kollektive Bewusstsein befindet sich in einer permanenten Entwicklung. Das hat Willy Obrist sehr deutlich für die letzten 1000 Jahre aufgezeigt. Der Einstieg in das Thema Bewusstseinsevolution entstand bei mir durch meinen eigentlichen Beruf des Architekten. Architekturentwürfe entstehen im Bereich der künstlerischen Gestaltung aus dem Unterbewussten. Das erkannte ich sehr früh und ich entdeckte auch, dass in den guten Architekturensembles aus den Zeiten zwischen 800 und 1800 ein psychisches Viererprinzip sichtbar wurde. Ich erkannte also, dass in kulturellen Dokumenten unbewusste Kräfte versteckt sind. Hier forschte ich weiter und fand erstaunliche Strukturen.

 

Ein wichtiges Ergebnis ihrer Arbeit sind die sich wiederholenden Zyklen. Lässt sich das mit der Annahme einer Bewusstseinsevolution verbinden?

 

Ich war ursprünglich nicht auf der Suche nach Zyklen sondern nach den unbewussten Substanzen in den kulturellen Werken. Ich verglich mit dem oben genannten systemwissenschaftlichen Ansatz die künstlerischen Dokumente der Geschichte mit den zeitgleichen philosophischen und soziologischen Aspekten. Und dadurch ergab sich fast von selbst ein System, das alle 2000 Jahre wieder mit sehr ähnlichen Phänomenen sichtbar wurde. Ein solcher 2000 Jahre-Prozess war dann stets unterteilt in vier Phasen, die wieder eine logische Verwandtschaft zu den vier Phasen der Architekturensembles zeigte. An dieses rhythmische System wollte ich zunächst nicht glauben. Ich überprüfte es gründlich, und fand es immer wieder bestätigt.

 

Das Thema der Bewusstseinsevolution wird aktuell von einigen wenigen, aber wichtigen Denkern vorangetrieben. Das DRI versucht, dieser Diskussion einen organisatorischen Rahmen zu geben. Was wünschen Sie sich für diese Diskussion in der Zukunft?

 

Ich würde mir so etwas ähnliches wünschen, was ich in den Jahren 68 bis 72 erlebt habe.  Über diese sogenannten 68er Jahre haben die meisten Menschen ein völlig anderes Bild als ich. Das waren vier Jahre mit einem komplett anderen Bewusstsein als vorher und nachher. Alle Menschen waren plötzlich mit neuen Ideen ansprechbar. Wir gründeten eine alternative Architektengruppe. Wir kamen sofort mit dem Oberbürgermeister in das Gespräch (Dr. Hans Jochen Vogel) Ich konnte in der Süddeutschen Zeitung große Artikel veröffentlichen. Die Stadt gründete ein heute noch  existierendes Diskussionsforum und verzichtete darauf, eine Stimme im Programmausschuss zu besitzen. In dem Forum, das die ganze Stadtplanung umkrempelte, arbeiteten Universitäten, Gewerkschaften, die beiden großen Kirchen zusammen und jeder Bürger konnte mit neuen Ideen mitarbeiten. Wenn man einen Lehrstuhl mit neuen Ideen ansprach, konnte man oft ohne Umstände diskutieren und kooperieren.

 

Statt der Lobbyisten konnten plötzlich die Bürgerinitiativen frei mit den Politikern und Behörden reden. Und ein junger Architekt wie ich mit besonders neuen Ideen erhielt zwei Forschungsaufträge der Stadt München und einen von der Bundesregierung. Es gab verbreitet Zukunftswerkstätten und das Besondere war eben, dass man mit allen etablierten Persönlichkeiten über neue Gedanken frei diskutieren konnte. Diese Zeitphase war auch in humaner Hinsicht sehr kreativ. Das alles klingt wie ein Märchen und ich weiß aus der Bewusstseinsforschung, dass so etwas nur alle mehrere Jahrhunderte einmal vorkommt. So war es beispielsweise auch zwischen 1517 und 1521. Aber ein klein wenig von einer Diskussionsbereitschaft würde ich mir heute schon wünschen. 

 

Mein Konzept ist neu. Ich habe es mir nicht ausgedacht sondern es hat sich durch interdisziplinäres Vergleichen fast von selbst ergeben. Mein interdisziplinärer Ansatz ist sehr breit. Um auf die Spur des tieferen Bewusstseins zu kommen wird die politische Geschichte, die Geistesgeschichte, die Mentalitätsgeschichte und die Kulturgeschichte in den Vergleich genommen. Und deshalb habe ich die Hoffnung, dass Vertreter dieser Bereiche zu meinem Ansatz Stellung nehmen. 

 

Zum Schluss noch ein Wort zur Wissenschaftlichkeit. Ich bemühe mich in meinem wissenschaftlichen Teil wirklich nur etwas zu sagen, was eindeutig nachprüfbar ist. Und zwar nicht nur nachprüfbar durch Spezialisten sondern durch jeden interessierten Bürger. Ich habe in meinem Leben mehrmals in von mir inszenierten Beteiligungsprozessen erfahren, dass Bürger, wenn sie in gründliche Bildungs- und Entscheidungsprozesse einbezogen werden, ein zukunftsfähiges Urteil entwickeln können. So könnten die von mir aufgezeigten Systeme auch von allen Fachbereichen aus beurteilt werden. Deshalb bitte ich alle Leser: Nehmen Sie Stellung. 

 

 

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