Rolf Kaufmann: Hegels Beitrag zur Bewusstseinsevolution

Der 27. August 2020, Hegels 250. Geburtstag, bot Gelegenheit, wieder einmal des berühmtesten Philosophen des frühen 19. Jahrhunderts zu gedenken. Hegel war ein Freund des Dichterfürsten J. W. von Goethe. Von diesem wird folgende Episode berichtet: „Als ein Maler Goethe um das Porträt des berühmtesten Mannes des Zeitalters bat, soll der Dichter geantwortet haben, der Künstler müsse zuerst Hegel in Berlin malen, dann aber geschwind nach Weimar zu ihm zurückkommen.“ 

 

Für linkshegelianische Sozialisten, für Marx, Lenin, den sowjetrussischen und den chinesischen Kommunismus galt Hegel als der bourgeoise, westliche Vorläufer ihrer Heils-Ideologie, welcher nach Karl Marx „vom Kopf auf die Füsse gestellt“ werden müsse. An Bekanntheit mangelte es Hegel nicht. Noch 1989, nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Sowjetunion, machte ein Wort in Anlehnung an Hegel die Runde: Es hiess, nun habe das „Ende der Geschichte“ begonnen. 1818, in seiner Antrittsvorlesung in Berlin, hatte Hegel nämlich vom „Ende der Geschichte des Weltgeists“ gesprochen, im Glauben, die Liberalisierung Preussens bedeute das Ziel der langen Reise des Weltgeist zu sich selber. Doch heute, nur drei Jahrzehnte nach 1989, ist es still geworden um Hegel. Von einem „Ende der Geschichte“ war in den vergangenen Dezennien nichts zu spüren. Es gibt darum auch 2020 noch Anlass, sich gründlich mit Hegel zu befassen.

 

Von den vielen Arbeiten zum Hegel-Jubiläum bespricht R. Kaufmann, DRI Senior Expert, in unserem neuen Artikel die Hegel-Biografie von Klaus Vieweg. Er schreibt: „Für Vieweg ist Hegel ‚der Philosoph der Freiheit‘. Sein Buch schliesst nicht umsonst mit der Sentenz: ‚Philosophieren heisst, frei denken und frei leben zu lernen‘. Schön, aber das reicht nicht; denn die Freiheit gründet im Bewusstsein.“ Diesem Phänomen war schon Hegel auf der Spur. Nach Kaufmann zeigt die Analyse seiner Antrittsvorlesung in Berlin, dass sich bei ihm die Entdeckung der Bewusstseinsevolution anbahnte. Er steht darum als ein markanter Meilenstein am Wegrand der Bewusstseinsevolution. Im Rückblick erscheint er als ein Vorläufer von Obrist, des Entdeckers derselben. Aus heutiger Sicht ist das Hegels wesentlicher Beitrag zur Bewusstseinsevolution.

 

Kaufmanns Artikel umfasst vier Kapitel: Das erste legt das Fundament, die Bewusstseinsevolution und den Mentalitätswandel; deren Beschreibung überlässt er dem Historiker und Mediävisten P. Dinzelbacher. Das zweite Kapitel analysiert Hegels Kindheit und Jugend, das dritte seine Antrittsvorlesung in Berlin, und das vierte fasst zusammen. An Viewegs Hegel-Biographie bemängelt Kaufmann vor allem zwei Dinge: „Zum einen nimmt Vieweg die Erkenntnisse der Tiefenpsychologie nicht zur Kenntnis, und zum andern idealisiert er Hegel. [...] Beispielsweise nennt er dessen Hauptwerk, die Phänomenologie des Geistes, ‚ein Jahrtausendwerk‘. In Wirklichkeit wird es nach einem halben Jahrhundert überholt, zuerst von Hegels Schüler Feuerbach (1804-1872), dann von der Tiefenpsychologie, von Freud (1854-1939), Jung (1875-1962) und Obrist (1918-2012). Sie alle durchschauen Hegels Projektion und erden seine Philosophie.“ Bissig kritisiert Kaufmann Viewegs Dank an Hegel: „Der grösste Dank geht natürlich, das wird wohl niemand wundern, an Georg Wilhelm Friedrich Hegel - er möge anlässlich seines 250. Geburtstages nicht zu strengen Blicks auf den Biographen schauen“. Kaufmann fragt: „Hat Vieweg das duale Weltbild wirklich überwunden?“

 

Kaufmanns Artikel eröffnet eine neue Perspektive auf Hegel: Wenn dieser nämlich ein Vorläufer des Entdeckers der Bewusstseinsevolution ist, dann ist die kommunistische Beurteilung Hegels als eines kopfstehenden Vertreters der bourgeoisen, westlichen Ideologie falsch. Dann ist auch die kommunistische Ideologie nur eine vorübergehende Phase der Bewusstseinsevolution, die von einer Weiterentwicklung des Bewusstseins abgelöst wird. 

 

Vom Verlauf der Bewusstseinsevolution ist in Kaufmanns Artikel ausführlich die Rede. Die Betrachtung Hegels im Horizont der Bewusstseinsevolution schenkt einem den nötigen langen Atem, dank dem man sich in unserer hektischen, verwirrten Welt mit einem klaren Kopf zurechtfindet.

 

Lesen Sie den gesamten Artikel von R. Kaufmann hier.

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