Zur Evolution der Menschlichkeit (Teil 2 von 3)

Von Mag. Dr. Nana Walzer, Senior Researcher, DRI

 

Teil II: AUF DEM WEG ZUR GESUNDEN GESELLSCHAFT

 

Der Blick hinter die „Stimme des Volks“  

 

Populismus nutzt die Tendenz zur Abwehr von allem, wovor Menschen sich fürchten oder glauben sich fürchten zu müssen, gezielt aus. Er manipuliert die Stimmung von einzelnen, schafft einander ausschließende Gruppen und spaltet so die Gesellschaft. Er bauscht Feindbilder auf, macht unrealistische „heile Welt“-Versprechungen, inszeniert ein „gut-gegen-böse“- Kampf, kreiert eine „Wir-gegen-Sie“-Welt. Populismus tarnt sich als Revolution bzw. als Opposition, die Veränderungen will. Letztlich verfolgt und fördert er aber nur die Abwehr von wirklich Neuem und verhindert konstruktive Veränderung. Dies ist daran zu erkennen, dass vertiefte Auseinandersetzungen mit Problemhintergründen und realistische Lösungsvorschläge fehlen. Stattdessen regieren Schuldzuweisungen, untermauert von Vereinfachungen. Populismus wird getragen von starken, zumeist negativ konnotierten Emotionen wie Wut (etwa gegen Flüchtlinge, die uns „überrollen“) oder Trauer und Empörung (etwa über den Verlust der „alten Welt und Werte“). Oder von ausschließendem Stolz, wie ihn der Nationalismus bietet. In allen Fällen kommt emotional wirksame Rhetorik dazu. 

 

Aufmerksamkeit ist die Währung unseres Zeitalters

 

Wer heute Menschen emotionalisieren kann, bekommt Aufmerksamkeit. Wer sie hat, hat Macht. Wer im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit steht hat die Macht zu entscheiden, was ein Thema ist und wie es behandelt wird. Evolutionär gesehen wiegen leider negative Emotionen schwerer als positive. Nachrichten zeigen es uns dies schon lange vor: So schlecht, wie sie die Welt und Menschen darstellen, ist das Leben in unserem täglichen Umfeld nur selten. Der Fokus liegt eben auf der Emotionalisierung. Negative Emotionen werden mit Relevanz verwechselt. Was wir spüren halten wir für echt. Authentische Menschen, so wie Trump sich im Wahlkampf gab – ganz und gar er selbst in all seinem Wahnsinn – werden als ehrlich empfunden (eine Missinterpretation von Unverblümtheit als Wahrhaftigkeit). Unabhängig davon wie ihr Verhältnis zu Wahrheit oder Wirklichkeit aussieht. Meinungen übertrumpfen Tatsachen, weil ihr emotionaler Gehalt höher ist und einen Eindruck persönlicher Betroffenheit erzeugen. Fake news gewinnen, weil sie die Menschen stärker (und oft auch durch digital targeting gezielter) negativ emotionalisieren und dabei punktgenau ausgewählte Vorurteile bedienen. Die Bestätigung, die Menschen dadurch erfahren, dass sie mir ihrer Ansicht „Recht“ haben, führt zur Selbstaufwertung. Geschieht dies kollektiv, so wird ein Gefühl von Macht und Kontrolle greifbar, dass vielen in unseren unsicheren Zeiten ohne positiven Aussichten fehlt. Gruppen, die an sich Außenseiter sind, fühlen sich stärker, besser, besonderer, auserwählter – und definieren sich als „das Volk“.

Die andere Seite, die nämlich, die mit positiven Emotionen arbeitet, ist stets leiser, so scheint es. Den destruktiven Feindbildern und Kampfansagen hat sie wenig konstruktive Heldenbilder oder Zukunftsvisionen entgegenzusetzen. Den „Untergang-des-Abendlands“-Szenarien stehen kaum starke, glaubhafte „Aufgang des neuen Westens“-Versionen gegenüber. Warum nicht? Weil der Progress mehr Aufwand bedeutet. Er braucht Vertrauen und Lösungsorientierung, sowie den Willen und die Fähigkeit zur Lösungsfindung und -Umsetzung. Unsicherheit ist die Kehrseite der Freiheit. Und Freiheit bietet einen ungeahnten Möglichkeitsraum. Doch die Möglichkeit will bewusst gesehen, genutzt und geformt werden. Progress wurzelt im Vertrauen und bedeutet Voranschreiten, aber dazu braucht es zunächst ein Bild wohin. Und sodann Wege wie man dorthin kommt. Realistische Wege, angepasst an reelle Herausforderungen. 

 

Raus aus dem Regress, rein in den Progress

 

Mit fortlaufender Entwicklung der Menschheit, vor allem auch durch die psychologische, (natur)wissenschaftliche und wissenschaftstheoretische Forschungsarbeit wurde immer klarer, dass Menschen es selbst sind, die ihre Welt erschaffen. Ihre Beobachtungen spiegeln sie selbst, zeigen, was sie sehen und messen können. Ihr Geist formt Bedeutungen, die ohne sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ganz anders aussähen. Warum? Weil alle Bedeutungszuschreibungen stets an ein Referenzsystem gebunden sind. Sei es nun Religion oder Wissenschaft: Bezugssysteme schaffen Weltbilder durch Selbstreferenzialität. Die Selbstbezüglichkeit der Welt, die Menschen zu kennen glauben, zu erkennen ist ein erster Schritt zum selbstverantwortlichen Umgang mit Unsicherheit. Glauben sie nämlich nicht mehr an einen absoluten Gott oder an die absolute Wissenschaft als absolut gültiges Referenzsystem, das jede Bedeutungszuschreibung vorherbestimmt, so können Menschen selbst die Verantwortung für die Welt, in der sie leben, übernehmen. 

An dieser Stelle der Erkenntnis könnte einerseits maßlose Verwirrung eintreten oder andererseits der Wunsch auftreten, einfach nur gut leben zu wollen. Den nächsten Schritt zu tun, jenen vom Ich zum Wir, ist daher bei Weitem keine Selbstverständlichkeit. Um aus der unbewussten Abhängigkeit von Referenzsystemen in die selbstverantwortliche Freiheit zu finden, brauchen Menschen nicht nur den Willen für und probate Wege zur Selbstfindung. Die Reifung von Menschen beinhaltet ebenso emotionale und soziale Kompetenzen, Herzensbildung und Persönlichkeitsentwicklung. Denn letztlich sind nur stabile Persönlichkeiten dazu fähig, flexibel und lösungsorientiert in Zeiten der Unsicherheit entlang menschlicher Wertsysteme anstelle absoluter Orientierungsannahmen zu navigieren.

 

Lesen Sie weiter im nächsten Blogbeitrag von Nana Walzer

Zur Evolution der Menschlichkeit, Teil III: Gelingendes Miteinander

 

 

Interessiert? 

 

Mag. Dr. Nana Walzer, Senior Researcher und Mag. DDr. Peter Gowin, Vorstand, DRI, stehen gerne für Vorträge, Abendveranstaltungen, Diskussionen, Briefings oder Seminare zu diesem Thema für Unternehmen, NGOs, Bildungseinrichtungen, Verwaltung oder Politik oder in anderem Rahmen zur Verfügung. 

 

Bitte kontaktieren Sie Dr. Walzer direkt unter: nana.walzer@development-institute.org. Wir freuen uns auf das Gespräch!

 

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