Interview (2/3): Dr. Engelmayer über Humanismus

Interview 

mit

 

Dr. Gerhard Engelmayer 

 

Präsident des Humanistischen Verbandes Österreich (HVÖ)

 

 

Fortsetzung von Teil 1 dieses Interviews.

 

Herr Dr. Engelmayer, vielen Dank für Ihre Zeit. Was wäre denn ihre Kritik an der Religion konkret und wie unterscheidet sich Humanismus davon?

 

Wie gesagt, Humanismus ist der komplette Gegenentwurf zu Religion a la Christentum und Islam: Ethik auf rationaler Basis und nicht tradierte Moral, Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung, Fehler statt Sünden, Solidarität statt Stammesgesellschaft, politische Nähe zu Demokraten statt zu Autoritären und Mächtigen, Anerkennung des Individuums statt eine Herde von Schafen, Realitätssinn statt theologische Saltos,  Anerkennung von Wissenschaft statt Wahrheitsbesitz, Bildungsfreundlichkeit statt – feindlichkeit, Körperfreundlichkeit statt -feindlichkeit, Gleichberechtigung der Geschlechter etc.etc. In puncto Gewaltpotenzial hat die Kirche positive Fortschritte gemacht, in puncto „arme Kirche“ hingegen null. 

 

Hat denn die Kirche nicht auch viel Positives geleistet? 

 

Sehr wenig. Sie gibt angeblich Hoffnung, das sehe ich nicht, wenn man die Lösungsansätze für die Probleme der Menschheit sieht. Da springt die Kirche im besten Fall nach Jahrzehnten, wenn es gar nicht mehr anders geht, auf den fahrenden Zug auf. Um das Jahr 2000 hat man z.B. den Umweltschutz entdeckt und nennt ihn „Bewahrung der Schöpfung“. Bis dahin hat man sich „die Welt untertan“ gemacht. 

Es wird im Namen der Kirche viel Gutes gemacht? Ja, die Kirche organisiert viel, aber die Menschen machen das Gute nicht für Gott oder die Kirche, sondern weil es einfach gut tut, anderen zu helfen. Sie würden es genauso tun, wenn es nicht für Gott wäre, wie man an den vielen nicht-religiösen Organisationen sieht. Es passiert im Rahmen der Kirche, weil die Kirche Strukturen besitzt, sie hat in Österreich die sagenhafte Zahl  von 10.000 Immobilien und einen Grundbesitz so groß wie Vorarlberg. 

 

Das klingt nach Neiddebatte oder?

 

Das klingt vor allem nach „nicht zeitgemäß“, die Kirche hat einfach nicht mehr die Verankerung in der Bevölkerung. Das bedeutet, dass diese Immobilien Großteils leer stehen und trotzdem erhalten werden müssen. Das ist ein Riesenproblem, das in Österreich noch nicht einmal im Ansatz diskutiert wurde, während in anderen Ländern wie Luxemburg  darüber heftig gestritten wird. Es wurde am Ende der Monarchie  in der Zeit der Republikgründung verabsäumt, die Kirchen ebenfalls zu enteignen, genau wie das Kaiserhaus. Das wäre damals nur logisch gewesen und hätte die Kirchen entlastet. Heute stöhnen die Kirchen unter ihren Immobilienkosten. In Luxemburg gehören viele Kirchen über die sog. „Kirchenfabrik“ den Gemeinden. 

 

Die meisten Menschen würden vermutlich sagen, dass der Glaube Trost spendet und dass das die Hauptarbeit der Kirche ist. 

 

Die Kirche spendet Trost? Sie „vertröstet“  die Menschen eher auf die Ewigkeit. Aber subjektiv kann man den Glauben als tröstend empfinden. Es ist richtig, dass eine Mutter, die ein Kind bei einem Verkehrsunfall oder durch ein Verbrechen verloren hat, vielleicht bei der Religion Zuflucht sucht. Das verstehe ich. Gerade wenn das Leben  hart und ungerecht ist, bei Krankheit, Armut und Leid, sieht sich die Religion autorisiert, einzuspringen. Das ist aber auch der Moment, wo die Missionierung wegen der Hilflosigkeit der Menschen am besten gelingt. Ob die Leidlinderung wirklich gelingt, ist eine Frage der Zuwendung, nicht der Religion. Die Kirche und ihr Personal sind „Ersatzfreunde“, die dir zwar zuhören, aber starke Eigeninteressen verfolgen. Echte Freunde sind jedenfalls vorzuziehen. Nein, die Kirche ist ein riesiger Machtapparat, an dessen Zitzen sehr viele Profiteure hängen. Würde der Staat die Kirche nicht mit Milliarden alimentieren, wäre es schnell vorbei mit dem politischen Einfluss der Kirche. Trotz der Milliarden geht es stetig bergab. Die Kirche ist auch eine Geldvernichtungsmaschine. Allein die tausende Gebäude, die niemand mehr sinnvoll benützt, denn die Kirchen sind leer, vernichten Milliarden. Man könnte mit einem Bruchteil des Geldes Sinnvolleres tun. 

 

Was würden Sie denn tun?

 

Unsere Projekte sind sozial- und bildungsorientiert, da ist noch sehr viel zu tun. Wir sind der Aufklärung  verpflichtet. Wir müssen permanent in der Politik aufklären. Aufklärung ist ein stetiger Prozess. Es gilt aufzuklären, welche Rolle die Kirche und Religion im staatlichen Bereich spielt. In Schulen, wo es gilt, aufzuklären, dass der Religionsunterricht ein Pakt zwischen Staat und Kirche ist, der unzeitgemäß ist. Es gilt, den Ethikunterricht für alle einzuführen, was integrativ wirkt,  und nicht als Ersatz für den Religionsunterricht, wenn man sich abmeldet. Es gilt aufzuklären, dass die Bevorzugung von Religion automatisch alle Religionen in eine bevorzugte Stellung bringt, auch solche, die unserer Demokratie kritisch bis feindlich gegenüberstehen. Die Kinder müssen vor Indoktrinierung geschützt werden. Kinder haben das Recht auf die beste Information, die verfügbar ist und nicht nur die, die Tradition ist und die im Interesse der Eltern ist. 

 

Was ist das Problem mit dem Religionsunterricht?

 

Die Kinder, die Religion ernst nehmen, werden es in unserer Gesellschaft sehr schwer haben und wir werden es mit ihnen schwer haben, denn die Demokratie ist auf dem Prinzip des informierten und gebildeten Menschen aufgebaut. Die 600 Stunden Religionsunterricht stehen ja nicht im Einklang mit dem Rest des Unterrichtes, sondern bekämpfen den Inhalt des Regelunterrichtes. In den Kindern kämpfen zwei Meme (sich selbst viral verbreitende kulturelle Informationen) gegeneinander. Wir müssen aufklären, dass in unserer säkularen Gesellschaft die Freiheit davon abhängt, dass alle die Basis der Freiheit akzeptieren und das ist Bildung. Bildung ist damit Arbeit an der Demokratie! Bildung ist Pflicht in einer Demokratie, sagt Popper. Sonst wird es ja den Populisten zu leicht gemacht, die Bürger zu täuschen, genau, was heute vermehrt geschieht. Wir müssen sehen, dass sich keine sozialen Verklumpungen einstellen, die ein sachliches Wahlverhalten unmöglich machen und sachfremde Aspekte wie Religion und Stammesdenken zu wahlentscheidenden Faktoren machen. Genau das ist in Polen passiert. 

 

Ist das nicht religionsfeindlich?

 

Ist es nicht. Es ist primär demokratiefreundlich. Wir müssen aufklären, dass die Hälfte der Menschen in unserem Land nicht mehr religiös ist und sich daher eine völlig andere gesellschaftliche Basis ergibt als noch vor 70 Jahren. Nach dem Krieg waren 90% der Bevölkerung katholisch.  Wir müssen die Menschen, die zu uns kommen, aufklären, dass alle Menschen Rechte haben, auch sie und dass sie nicht mehr wie in ihrer Heimat gezwungen sind, Muslime zu sein und denen, müssen wir klar machen, dass auch die Menschen in ihrer neuen Heimat Rechte haben, die sie verteidigen wollen und müssen. Ja dass es hier überhaupt viel mehr an Ordnung und Vorschriften gibt, die von Menschen erfunden und ausverhandelt wurden und die auch gelten und durchgesetzt werden. Wir müssen sie aufklären, dass die Freiheit auch etwas kostet, nämlich Toleranz gegenüber den anderen, denen ihre Freiheit auch sehr wichtig ist.

 

Herr Dr. Engelmayer, vielen Dank für das Gespräch. 

 

Ende Teil 2. Fortsetzung im nächsten Monat.

  

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